Übung macht den Meister! Stimmts?
Fangen wir mit einer Feststellung an. Lernen - wie es an der Universität stattfindet - benötigt Aufmerksamkeit und findet nur statt, wenn man sich eingehend mit dem eigenen Lernstoff beschäftigt. Keine Nobelpreisträgerin geschweige denn Spitzensportler konnte jemals Hochleistungen vollführen, ohne eine enorme Zeit der Übung. Warum also die provkante Frage, ob Übung den Meister macht? Die Antwort ist simpel, Übung allein genügt nicht, um in einem Themengebiet Hochleistungen zu erbringen.
Übung allein genügt nicht
Über viele Jahre hat sich gezeigt, dass erfahrene Stockbroker in ihren Vorhersagen über Wertpapiere nicht besser sind als Laien (Hattie & Yates, 2014). Noch viel schlimmer; ob ihre Vorhersagen akurat sind ist vielmehr ein Faktor des Glücks und beruht nicht auf jahrelanger Erfahrung. In vielen anderen Bereichen zeigen sich ähnliche Ergebnisse. Anders Ericsson - eine führende Figur in der Expertisenforschung - beschreibt beispielsweise, dass Physikprofessoren an renomierten Universitäten in einfachen physikalischen Fragestellungen nicht konsistent besser sind als ihre eigenen Studenten (Ericsson, 2006).
Stockbroker sind genauso gut wie Laien, obwohl sie jahrelange Erfahrung besitzen.
Ericsson kommt aus diesen Ergebnissen - wovon an dieser Stelle nur dieses Beispiel genannt ist -, zu dem Schluss, dass Experten nicht nach der Dauer ihre profesionellen Tätigkeit ausgewählt werden sollten, sondern nach der Frage, ob sie über einen langen Zeitraum Höchstleistungen in ihrer Disziplin gezeigt haben. Die zu Grunde liegende Message lautet: "Expertise, also die dauerhafte erfolgreiche Ausführung hochkomplexer Tätigkeiten, wird nicht allein durch Übung erlangt". Tatsächlich scheint es manche Disziplinen zu geben, in denen so etwas wie Expertise gar nicht existiert (siehe Stockproker).
Deliberate Practice als die wichtigste Art der Übung
Anders Ericsson führte in den 90er Jahren einige Studien an Pianisten und Violinisten der Berliner Hochschule für Musik aus. Er ging der Frage hinterher, welche Art der Tätigkeit darüber entscheidet, ob man zu einem Weltklassepianisten oder -violinisten wird. Die Antwort führ ihn lautet Deliberate Practice (Ericcson, Krampe, & Tesch-Römer, 1993). Diese Art der Übung zielt darauf ab, Tätigkeiten, die momentan über den eigenen Leistungsniveau sind, durch bewusste Übung zu erreichen. Entscheidend ist dabei die Konzentration auf diese Tätigkeit. Konzentration wird definiert als die andauernde Aufmerksamkeit auf ein Thema. Ohne Konzentration kann kein Deliberate Practice stattfinden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese Tätigkeit sehr ermüdend ist. Stell dir vor, du beschäftigst dich mit einem Problem, dass du gerade nicht zu lösen vermagst, aber durch konzentrierte Übung lösen kannst. Maximal 25 Stunden wöchentlich kann ein Mensch in der Regel mit dieser Art der Übung verbringen.
Deliberate Practice das zielgerichtete und konzentrierte Streben nach der Verbesserungen konkreter Tätigkeiten.
Gleichzeitig berichteten die Pianisten und Violinisten, dass diese Tätigkeit wenig freudvoll ist. An dieser Stelle wird deutlich, warum es so schwierig ist, Hochleistungen in einem Gebiet zu erbringen. Wer möchte schon andauernd eine erschöpfende, wenig freudvolle Tätigkeit vollführen? Jene Menschen, die ein Ziel für sich definiert haben, welches es Wert ist, dieses Opfer zu erbringen.
Übung unterscheidet sich von Deliberate Practice dahingehend, dass Übung geringer darauf ausgelegt ist, sein Leistungsniveau zu steigern. Deliberate Practice benötigt zudem sehr gutes informatives Feedback. Feedback sollte dabei konkrete Hinweise darauf liefern, wie man seine Leistung verbessern kann. Lob und Kritik sind als Feedback kaum hilfreich wenn es um die Verbesserung der eigenen Leistung geht (Hattie & Timperley, 2007).
Wann macht Deliberte Practice für mich Sinn und wie kann ich es angehen?
Zunächst solltest du dir im klaren darüber sein, welche Ziele du verfolgst. Deliberate Practice macht am meisten Sinn, wenn du ein Ziel verfolgst, welches für dich selber von großem Wert ist. Ganz entscheident in der Entwicklung von Expertise ist das Umfeld, in dem du lebst. Du benötigst Menschen, die dir die richtigen Inhalte und Tätigkeiten aufzeigen. Informatives Feedback ist zudem sehr entscheidend. Suche dir Menschen, die dir Feedback geben, welches dir hilft, die Brücke zwischen dem, was du noch nicht kannst zu dem, was du können möchtest zu schlagen.
Suche dir Zeiten, in denen du Deliberate Practice ausführst. Beobachte dich in dieser Zeit sehr genau und überlege dir immer, ob du gerade zielorientiert und konzentrierst daran arbeitest, deine Leistung zu steigern. Mehr als vier Stunden am Tag kann diese Tätigkeiten auf Dauer nicht ausgeführt werden. Gönne dir daher Erholungspausen. Erfahrende Sportler beispielsweise genehmigen sich häufig ein kleines Schläfchen zwischen den Trainings. Der richtige Mix aus Anspannung und Entspannung ist entscheidend.
Literatur
- Ericsson, K. A. (2006). The influence of experience and deliberate practice on the development of superior expert performance. The Cambridge handbook of expertise and expert performance, 683-703. [*]
- Ericsson, K. A., Krampe, R. T., & Tesch-Römer, C. (1993). The role of deliberate practice in the acquisition of expert performance. Psychological review, 100(3), 363. [*]
- Hattie, J., & Timperley, H. (2007). The power of feedback. Review of educational research, 77(1), 81-112. [*]
- Hattie, J., & Yates, G. C. (2014). Visible learning and the science of how we learn. Routledge.