So liest du einen Text, um ihn zu verstehen.

Von Christian Burkhart am 20.03.2015

Lesen ist eine der wichtigsten Tätigkeiten in jedem Studium. Zugleich ist Lesen ein komplexer Vorgang (McNamara, Ozuru, Best, & O’Reilly, 2007). Selbst erfahrene Leser verwenden häufig falsche Lesestrategien und überschätzen ihre Lesefähigkeit (Graesser, 2007; Therrien, 2004). Die Fähigkeit, einen Text zu verstehen bedarf Übung und muss über einen langen Zeitraum geübt werden. Um zu einem Experten im Leseverständnis zu werden, ist es notwendig, dass du dich aktiv mit Lesestrategien auseinandersetzt, das heißt, sie ständig wieder anwendest (Graesser, 2007). Wenn du beginnst, dir Lesestrategien anzueignen, kann es sein, dass du dich zunächst sehr darauf konzentrieren musst, diese Strategien zu verwenden. Mit der Zeit verinnerlichen sich diese Strategien und du wirst deine Aufmerksamkeit zu einem großen Teil auf den Text lenken können.

Gute Leser

Wie kommt man nun dahin, einen Text gut zu verstehen? Schauen wir uns zunächst an, wie gute Leser Texte bearbeiten. Gute Leser versuchen Texte im Ganzen zu verstehen (Kolić-Vrhovec, Bajšanski, & Rončević Zubković, 2011). Sie verbinden Textstellen miteinander und schaffen hierdurch eine Darstellung des ganzen Textes. Sie gehen sozusagen über die einzelnen Textstellen hinaus und versuchen die Argumentationsstruktur und den Aufbau des Textes festzuhalten. Kennzeichnend für gute Leser ist zudem die Einbindung ihres Vorwissens beim Lesen (Graesser, 2007). Sie schaffen Brücken zwischen dem, was sie schon wissen und dem Text. Vorwissen entscheidet mit am stärksten, ob jemand einen hohen oder geringen Lernerfolg hat.

Während dem Lesen anspruchsvoller Texte treten häufig Verständnisprobleme auf. Gute Leser zeichnen sich dadurch aus, dass sie versuchen, diese Verständnisprobleme zu lösen (McNamara, Ozuru, Best, & O’Reilly, 2007). Erst, wenn sie das Verständnisproblem gelöst haben, versuchen sie weiter zu lesen. Um auf Verständnisprobleme zu stoßen, benutzen sie viele Selbsterklärungen (Graesser, 2007). Sie versuchen, Textstellen in ihren eigenen Worten wiederzugeben und können somit feststellen, ob sie eine Textpassage verstanden haben oder nicht.

Es ist sehr einfach, einen Text zu lesen, ohne sich zuvor Gedanken darüber zu machen, was man über den Text erfahren möchte. Viel sinnvoller ist die Gewohnheit, sich vor dem Lesen spezifische Leseziele zu setzen (McNamara, Ozuru, Best, & O’Reilly, 2007). Du stellst dir vielleicht auch immer wieder Fragen während dem Lesen: Warum kommt der Autor zu diesem Schluss? Warum erwähnt die Autorin diesen Gedanken in diesem Kontext?

Welche Strategien fördern das Textverständnis?

Ganz praktisch lassen sich Lesestrategien nach der Zeit einteilen. Lesen findet eben nicht nur während dem Betrachten des Textes statt. Wenn du einen Text verstehen möchtest, ist es wichtig, dass du dir auch vor und nach dem Lesen Gedanken über den Text machst. Wir schlagen dir vor, deine Lesestrategien nach der Zeit vor dem Lesen, während dem Lesen und nach dem Lesen einzuteilen (Lei, Rhinehart, Howard, & Cho, 2010; Williams, 2005).

Vor dem Lesen

Noch bevor du mit dem Lesen beginnst, solltest du versuchen, die grobe Textstruktur festzuhalten. Dabei geht es nicht darum, dass du im Detail verstehst, was im Text steht. Vielmehr gilt es, dir den generellen Aufbau des Textes zu vergegenwärtigen. Wenn du dir dieser Struktur bewusst bist, solltest du versuchen, dir spezifische Leseziele zu setzen. Es ist gar nicht nötig, dass du dich nach dem Lesen an jedes Detail des Textes erinnerst. Viel sinnvoller wäre es, wenn du dir überlegst, was du aus dem Text erfahren möchtest und diese Ziele schriftlich festhältst. Selbstredend wäre es schön, wenn diese Leseziele für dich auch persönlich relevant sind. Du solltest dir darüber hinaus auch konkrete Fragen zum Text stellen, die du während dem Lesen beantworten möchtest. Der Unterschied zwischen den Lesezielen und den Fragen vor dem Lesen ist, dass Fragen konkreter sind und sich auch aus einzelnen Textpassagen beantworten lassen.

Während dem Lesen

Mit deinen Lesezielen und Fragen im Gepäck geht es nun an die eigentliche Tätigkeit: Das Lesen. Du solltest versuchen, in dieser Phase, dein Verständnis ständig zu prüfen und zudem den Textinhalt schriftlich festhalten. Versuche noch während dem Lesen einzelne Textpassagen in deinen eigenen Worten wiederzugeben (Paraphrasieren) (Kolić-Vrhovec, Bajšanski, & Rončević Zubković, 2011). Solltest du nicht fähig sein, eine Textpassage in deinen Worten wiederzugeben, ist dies ein Zeichen dafür, dass du etwas im Text nicht verstanden hast (McNamara, Ozuru, Best, & O’Reilly, 2007). Wenn solche Verständnisprobleme bei dir auftreten, ist es wichtig, dass du diese löst, bevor du den Text weiter liest. Einerseits ist es sehr hilfreich, den Textabschnitt, den du nicht verstanden hast, erneut drei- bis viermal zu lesen. Verwende aber auch externe Ressource (Nachschlagewerke, Internet, ...), um einen Textabschnitt zu verstehen. Das Lesen solltest du nun auch dazu nutzen, deine Fragen, die du dir vor dem Lesen gestellt hast, zu beantworten. Hierfür ist es nützlich, dir die notierten Fragen neben den Text zu legen, um dir diese in Erinnerung zu behalten. Wenn du einen Text so lesen möchtest, dass du ihn verstehst, ist es wichtig, dass du einerseits die Textstruktur schriftlich festhältst, aber auch wichtige Textpassagen markierst. Markierungen und Marginalien (kurze Zusammenfassungen einer Textpassage am Rande eines Textes) helfen dir, wichtige Passagen eines Textes auch bei wiederholtem Lesen schnell wiederzufinden. Die Anfertigung von Marginalien ist zudem eine sehr geeignete Strategie, Textpassagen in deinen eigenen Worten wiederzugeben, um dein Verständnis zu prüfen. Eine weitere Möglichkeit, einen Text für eine spätere Bearbeitung festzuhalten, ist die schriftliche Darlegung der Textstruktur. Versuche noch während dem Lesen, die Argumentationskette oder den Aufbau des Textes so festzuhalten, dass du den Text auch nach dem Lesen durch diese Aufzeichnungen wiedergeben kannst. Hierfür eignet sich eine tabellarische Auflistung als auch die Verwendung einer Concept-Map.

Nach dem Lesen

Lass dir Zeit. Es ist durchaus sinnvoll, deinen Text erst einen oder mehrere Tage nach dem Lesen erneut anzusehen (McNamara, Ozuru, Best, & O’Reilly, 2007). Durch diese Verzögerung stellst du sicher, dass du bei der Anfertigung einer späteren Zusammenfassung des Textes prüfen kannst, was du von deinem Text dauerhaft behalten hast. Nachdem einige Zeit nach dem Lesen des Textes verstrichen ist, solltest du eine Zusammenfassung des Textes schreiben (Kolić-Vrhovec, Bajšanski, & Rončević Zubković, 2011). Stößt du in dieser Zeit auf Verständnisprobleme, ist es wichtig, diese erneut zu klären. Überspringe sie nicht und schreibe erst weiter, wenn du dein Verständnisproblem gelöst hast.

Allgemeine Hinweise

Lesestrategien sind eine Sache der Übung. Wenn du deine Lesefähigkeiten verbessern möchtest, so dass du Texte besser verstehst, solltest du die eben erwähnten Lesestrategien immer wieder üben. Am Ende zahlt sich deine Mühe aus und du wirst merken, dass du einen Text viel besser verstehen kannst, wenn du in der Anwendung der Lesestrategien geübt bist. In deinem Studium wird es immer wieder Texte geben, die du sehr gründlich lesen solltest. Es wäre allerdings nicht hilfreich, wenn du jeden Text detailliert bearbeitest. Viele Texte, insbesondere bei der Recherche, benötigen eine andere Art, gelesen zu werden. Überlege dir daher gut, welche Texte du so gründlich lesen möchtest.

Literatur

  • Graesser, A. C. (2007). An introduction to strategic reading comprehension. Reading comprehension strategies: Theories, interventions, and technologies, 3-26. [*]
  • Kolić-Vrhovec, S., Bajšanski, I., & Rončević Zubković, B. (2011). The role of reading strategies in scientific text comprehension and academic achievement of university students. Review of Psychology, 18(2), 81-90.[*]
  • Lei, S. A., Rhinehart, P. J., Howard, H. A., & Cho, J. K. (2010). Strategies for Improving Reading Comprehension among College Students. Reading Improvement, 47(1), 30-42.
  • McNamara, D. S., Ozuru, Y., Best, R., & O’Reilly, T. (2007). The 4-pronged comprehension strategy framework. Reading comprehension strategies: Theories, interventions, and technologies, 465-496.
  • Therrien, W. J. (2004). Fluency and comprehension gains as a result of repeated reading a meta-analysis. Remedial and special education, 25(4), 252-261.[*]
  • Williams, S. (2005). Guiding students through the jungle of research-based literature. College Teaching, 53(4), 137-139.