Nachhaltig lernen. So geht's.

Von Christian Burkhart am 20.03.2015

Vom Unterschied zwischen der Einspeicherung und dem Abruf von Wissen

Jede Person hat seine eigenen Vorstellungen vom Lernen. Ein weit verbreiteter Glaube unter diesen Vorstellungen ist, dass Lernen durch erneutes Studieren verbessert wird (Karpicke & Roediger, 2008). Sagen wir, du liest einen Text zweimal, um dir dessen Inhalt besser einzuprägen. Oder du versucht dir Vokabeln einzuprägen, indem du die Vokabelpaare mehrmals studierst. Hinter diesen Strategien steckt der Glaube, dass Lernen bei der Einspeicherung von Wissen stattfindet. Das Gegenstück von der Einspeicherung ist der Abruf des eigenen Wissens. Du liest einen Text nicht zweimal, sondern versucht nach dem Lesen des Textes eine Zusammenfassung ohne Beihilfe des Textes zu schreiben. Oder du schreibst dir Vokabeln auf Karteikärtchen, um die richtige Vokabel aus deinem Gedächtnis zu reproduzieren.

Teste dein Wissen, wenn du dich lange daran erinnern möchtest

Ist es nun sinnvoller, sich das Wissen wiederholt einzuspeichern oder das Wissen vermehrt abzurufen? Eine Vielzahl an Studien konnte zeigen, dass das Testen - also der freie Abruf von Wissen - dem Studieren für das langfristige Behalten überlegen ist (Karpicke & Roediger, 2008; Karpicke, 2012; Karpicke & Blunt, 2011; Karpicke & Smith, 2012; Roediger & Karpicke, 2006). Diese Tatsache wird als der Testing-Effect bezeichnet. Kurzfristig macht es keinen Unterschied, ob du den Lernstoff mehrmals studierst oder nach dem Studieren damit anfängst, dein Wissen zu testen. Es scheint kurzfristig sogar besser zu sein, Lernstoff mehrmals zu studieren (Bjork & Bjork, 2011; Roediger & Karpicke, 2006). Langfristig wirkt sich das Testen des eigenen Wissens allerdings besser auf die Erinnerungsleistung aus als das wiederholte Studieren.

Studiere, teste dich mehrmals und das über einen langen Zeitraum

Eine Grundvoraussetzung für den Testing-Effect ist, dass es zu Beginn eine Lernphase gibt. Es ist schlicht und ergreifend nicht möglich, Wissen zu testen, ohne, dass es vorher gelernt wurde. Anschließend führt das Testen zu einer besseren Erinnerungsleistung als erneutes Studieren. Entscheidend für den Lernerfolg ist das mehrmalige Testen des eigenen Wissens. Je häufiger du dein Wissen testest, desto besser wirst du dich langfristig an den Lernstoff erinnern (Pyc & Rawson, 2009). Dabei solltest du zudem darauf achten, dass du die Tests über einen langen Zeitraum durchführst (Roediger & Karpicke, 2006). Dieses verteiltes Lernen ist einer der robustesten Effekte in der Bildungswissenschaft (Bjork & Bjork, 2011; Dunlosky, Nathan, & Willingham, 2013).

Direkter und indirekter Effekt des Testens

Es erscheint paradox, aber der Testing-Effect funktioniert ebenso ohne Feedback (Bjork & Bjork, 2011; Roediger & Karpicke, 2006). Testen führt direkt zu einer besseren Erinnerungsleistung. Dies bedeutet aber nicht, man sollte auf Feedback verzichten. Vielmehr kann Feedback den Testing-Effect noch verbessern. Dies wird als der Potentiating effect bezeichnet (Karpicke, 2012). Der indirekte Effekt beruht darin, dass Wissenslücken durch das Testen aufgedeckt und gelöst werden.

Warum funktioniert der Testing-Effect?

Erklärt werden kann der Testing-Effect durch eine tiefere Verarbeitung des Lernstoffs. Der Abruf des eigenen Wissens fördert eine tiefere Verarbeitung als beispielsweise die Erkennung einer richtigen Information bei einem Multiple-Choice-Test. Dies wird als Desirable Difficulties bezeichnet (Bjork, 1994). Du kannst dir es so vorstellen: “When it feels easy you’re probably doing it wrong!”. Wenn du etwas längerfristig einprägen möchtest, ist es hilfreich, dir eine Situation zu schaffen, in der dir das Lernen schwierig erscheint! Das Testen des eigenen Wissens ist eine solche Schwierigkeit (Roediger & Karpicke, 2006). Es ist viel einfacher, ein Vokabelpaar erneut anzusehen. Viel schwieriger ist es, die richtige Vokabel zu einer anderen Vokabel zu reproduzieren.

Wann du Testen solltest?

Durch das Testen deines Wissens gehst du einen Kompromiss ein. Während du hierdurch nicht so schnell lernst wie durch das kurze komprimierte Studieren vor einer Klausur, wirst du die Informationen jedoch langfristig behalten (Bjork & Bjork, 2011; Roediger & Karpicke, 2006). Wenn du also in ein paar Tagen eine Klausur hast, solltest du nicht allein auf das Testen deines Wissens setzen. Kurzes Stoßlernen ist nur kurzfristig effektiv. Du kannst dann davon ausgehen, dass du dir die Inhalte nicht längerfristig einprägen wirst. Wenn du allerdings rechtzeitig mit dem Lernen beginnst, wirst du dir durch das Testen das Wissen für die Klausur wesentlich länger einprägen als durch das erneute Studieren.

Verteiltes Testen

Sein eigenes Lernen zu beurteilen ist schwer. Ein verbreiteter Irrglaube ist, dass Lernen nur bei der Einspeicherung von Wissen stattfindet. Der Abruf diene lediglich der Prüfung von Wissen, ist häufig das Argument. Dem ist allerdings nicht so. Das Testen des eigenen Wissens ist lernförderlich. Insbesondere wenn das Testen verteilt erfolgt (Dunlosky, Nathan, & Willingham, 2013). Wenn du etwas langfristig einprägen möchtest, solltest du versuchen, dein Wissen frühzeitig zu testen und die Tests über die Zeit verteilen.

Literatur

  • Bjork, R. A. (1994). Memory and metamemory considerations in the training of human beings. In J. E. Metcalfe & A. P. Shimamura (Eds.), Metacognition: Knowing about Knowing (pp. 185 - 205). Cambridge, MA: The MIT Press. [*]
  • Bjork, E. L., & Bjork, R. A. (2011). Making things hard on yourself, but in a good way: Creating desirable difficulties to enhance learning. Psychology and the real world: Essays illustrating fundamental contributions to society, 56-64. [*]
  • Dunlosky, J., Rawson, K. A., Marsh, E. J., Nathan, M. J., & Willingham, D. T. (2013). Improving students’ learning with effective learning techniques promising directions from cognitive and educational psychology. Psychological Science in the Public Interest14(1), 4-58. [*]
  • Karpicke, J. D. (2012). Retrieval-Based Learning Active Retrieval Promotes Meaningful Learning. Current Directions in Psychological Science, 21(3), 157-163. [*]
  • Karpicke, J. D., & Blunt, J. R. (2011). Retrieval practice produces more learning than elaborative studying with concept mapping. Science, 331(6018), 772-775. [*]
  • Karpicke, J. D., & Roediger, H. L. (2008). The critical importance of retrieval for learning. Science, 319(5865), 966-968. [*]
  • Karpicke, J. D., & Smith, M. A. (2012). Separate mnemonic effects of retrieval practice and elaborative encoding. Journal of Memory and Language, 67(1), 17-29. [*]
  • Pyc, M. A., & Rawson, K. A. (2009). Testing the retrieval effort hypothesis: Does greater difficulty correctly recalling information lead to higher levels of memory?. Journal of Memory and Language, 60(4), 437-447. [*]
  • Roediger, H. L., & Karpicke, J. D. (2006). The power of testing memory: Basic research and implications for educational practice. Perspectives on Psychological Science, 1(3), 181-210. [*]